Zitat der Woche Nr. 6 – Der Mensch in der Therapie als Mensch in der Revolte

Zitat der Woche Nr. 6 – Der Mensch in der Therapie als Mensch in der Revolte

Zitat der Woche Nr. 6 – Der Mensch in der Therapie als Mensch in der Revolte 150 150 Psychotherapie für Erwachsene

Was ist ein Mensch in der Revolte? Ein Mensch, der nein sagt. Aber wenn er ablehnt, verzichtet er doch nicht, er ist auch ein Mensch, der ja sagt aus erster Regung heraus. Ein Sklave, der sein Leben lang Befehle erhielt, findet plötzlich einen neuen unerträglich. Was ist der Inhalt dieses „Nein“? Es bedeutet zum Beispiel: „das dauert schon zu lange“, „bis hierher und nicht weiter“, „sie gehen zu weit“ und auch „es gibt eine Grenze, die sie nicht überschreiten werden“. Im Ganzen erhärtet diese „Nein“ das Bestehen einer Grenze. Albert Camus

Willkommen zum sechsten Beitrag unserer wöchentlichen Reihe von Zitaten und Aphorismen zu den Themen Klientenzentrierte Gesprächstherapie und Beratung, Personzentrierter Ansatz, Psychotherapie, Psychohygiene, Paartherapie, psychische Gesundheit, persönliche Entwicklung und überhaupt das „gute Leben“ allgemein.

Ich möchte sagen, dieses Zitat ist eines meiner persönlichen Lieblingszitate von Albert Camus. Ich habe es seinem Buch „Der Mensch in der Revolte“ entnommen. Grundsätzlich ist es nicht unproblematisch und potentiell vermessen, einzelne Zitate, vor allem wenn sie von großen Denkern stammen, aus ihrem geistigen und historischen Kontext herauszunehmen und zu kommentieren. Aus diesem Grund möchte ich die Leser dieses Artikels um Nachsicht bitten, da ich Camus‘ Gedanken seinem größeren Kontext entziehe und ihn für mich persönlich, bezogen auf meine psychotherapeutische Erfahrung, kommentiere.

Vielleicht nicht immer, aber oft genug erlebe ich den Menschen, der in die Psychotherapie kommt als einen Menschen in der Revolte. Der Mensch in der Revolte ist ein Individuum, ein Einzelner bzw. eine Einzelne, die an den Rand von etwas gestoßen ist. In der Regel ist es der Rand des möglich Aushaltbaren, also der Rand eines nicht mehr zu tragenden (bzw. ertragenden) inneren Leids.

Weil dieses Leid aber nicht mehr auszuhalten ist, beginnt diese Person „Nein“ zu sagen. Sie sagt „Nein“ zu ihrem Zustand und dem inneren Schrecken, den sie erlebt. Dieses „Nein“ sagen ist anders gedacht im eigentlichen Sinn ein „Ja“ sagen. Es ist ein „Ja“ zum Leben in seiner Eigenschaft eines beständigen Flusses der Veränderung und Erneuerung. Es ist ein „Ja“ dazu, dass das, was in der Gegenwart als unerträglich und leiderfüllt wahrgenommen wird, einer Transformation und Entwicklung bedarf.

Dies ist oft der Punkt, an dem sich eine Person auf eine persönliche Heldenreise begibt. Die Heldenreise ist symbolisch betrachtet der Weg zur inneren und äußeren Erneuerung. Sie ist die symbolische Repräsentation persönlicher Entwicklung und inneren Wachstums. Der Sklave, wie ihn Camus beschreibt, welcher an diesen inneren Punkt, also der absoluten Grenze seines Mitspielens in einem falschen und unpassenden Spiel, angelangt ist, ist ein Held (vielleicht nicht für die Menschheit, aber jedenfalls für sich selbst).

Ich hoffe, es ist nicht übertrieben zu schreiben, dass viele Menschen in unserer modernen Zeit hier, in einem aufgeklärten und demokratisch organisieren Mitteleuropa, noch immer in Sklaverei leben. Oft ist es nicht einmal eine von Außen erzwungene Sklaverei. Es nur so zu denken, wäre zu einfach. Das Perfide ist, dass wir gelernt haben, unsere eigenen Sklaventreiber zu sein. Der herrschende Optimierungswahn ist nur eine Ausprägung dieser modernen Selbstversklavung. Es gibt noch viele mehr.

Doch irgendwann kommt vielleicht der Zeitpunkt, wo ich mir in meinem unbarmherzigen Umgang mit mir selbst zu viel werde. Dann sage ich vielleicht: „das dauert schon zu lange“, „bis hierher und nicht weiter“, „ich gehe zu weit“, „es gibt eine Grenze, die ich nicht überschreiten werde“. Dort angelangt ist der Weg frei, eine persönliche Reise der inneren Heilung und Selbstentwicklung bzw. Reifung zu beginnen.

Camus‘ Gedanken auf die Außenwelt bezogen zeigen uns aber auch die Notwendigkeit nach dem Setzten persönlicher Grenzen gegenüber anderen auf. Nicht jeder hat das Recht, alles von uns zu verlangen. Es gibt persönliche Grenzen, welche, wenn sie immer wieder (oder manchmal schon nur einmal) überschritten werden, zu unvorhersehbaren und schädlichen Folgen führen, die wiederum in Wahrheit für niemanden gut sind. Die Fähigkeit „Nein“ zu sagen, um echte Grenzen zu ziehen, ist unerlässlich, um ein funktionierendes Leben führen zu können. Somit ist das richtige „Nein“ sagen im im Wesentlichen ein „Ja“ sagen zum Leben selbst.

Literatur:

Camus, A. (1951/2016). Der Mensch in der Revolte. Reinbek bei Hamburg: Rowolth Taschenbuch Verlag. S. 27

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