Zitat der Woche Nr. 7 – Die Lektion des Platzregens und ich

Zitat der Woche Nr. 7 – Die Lektion des Platzregens und ich

Zitat der Woche Nr. 7 – Die Lektion des Platzregens und ich 150 150 Psychotherapie für Erwachsene

Man muss die ‚Lektion des Platzregens‘ verstehen. Ein Mann, der unterwegs von plötzlichem Regen überrascht wird, rennt die Straße hinunter, um nicht nass und durchtränkt zu werden. Wenn man es aber einmal als natürlich hinnimmt, im Regen nass zu werden, kann man mit unbewegtem Geist bis auf die Haut durchnässt werden. Diese Lektion gilt für alles.“ Yamamoto Tsunetomo

Willkommen zum siebenten Beitrag unserer Reihe von Zitaten und Aphorismen zu den Themen Klientenzentrierte Gesprächstherapie und Beratung, Personzentrierter Ansatz, Psychotherapie, Psychohygiene, Paartherapie, psychische Gesundheit, persönliche Entwicklung und überhaupt das „gute Leben“ allgemein. Heute in die Geschichte eines persönlichen Erlebnisses eingebettet:

Das Wetter hat mir heute die Lektion des Platzregens geschenkt. Das hat mich sehr nachdenklich gemacht und mich ein wenig zum Schreiben inspiriert.

Die Geschichte beginnt, wo Herausforderungen der Arbeitswoche es manchmal verhindern, dass der Kühlschrank zum Wochenende hin gut gefüllt ist. Diese Tatsache zwingt dann, das Einkaufen auf den Samstag zu verlegen. Ich raffe mich also auf, packe meine Sachen. Einkaufstaschen sollten mitgenommen werden und eine Münze für den Einkaufswagen will eingesteckt sein. Diese vergesse ich gerne; ärgere mich jedes Mal und ärgere mich gleichzeitig darüber, dass ich mich jedes Mal ärgere. Voll Stolz: Heute habe ich sie nicht vergessen.

Der Supermarkt ist nicht so weit weg. Ich glaube, aus diesem Grund habe ich nicht auf die bevorstehende Wetterlage geachtet. Leichten Herzens (und ebenso leicht bekleidet) mache ich mich also auf und angekommen nehme ich mir meine Zeit beim „genussvollen“ Philosophieren über die Fragen: „Was brauchen wir eigentlich? Was brauchen wir eigentlich nicht? Was zu kaufen ist weise und klug? Und wo könnte ich mich im Nachhinein der Dummheit bezichtigen?“ In diesem Zusammenhang finde ich es immer wieder unglaublich, was man beim Einkaufen alles über sich selbst lernen kann.

Ich habe also meinen Einkauf beendet und meine Fragen mehr oder weniger gut beantwortet (so wie immer eben), bewege mich Richtung Ausgang und trete ins Freie. Da spüre ich es schon, und Furcht und Hoffnung treten gleichzeitig in mein Herz. Es könnte jeden Moment zu Regnen beginnen. Da liegt diese besondere Schwere in der Luft, die anzeigt, dass einem bald der Himmel auf den Kopf fallen könnte. Aber, wie gesagt, es ist Hoffnung im Herzen und dieser folgend begebe ich mich auf den Heimweg. Ich hoffe, dass ich trocken bleibe. So ist die Hoffnung zwar eine wesentliche Kraft in uns, die uns voran treibt, uns hilft, nicht stehen zu bleiben, auch wenn etwas Negatives eintreten könnte. Und doch wird unsere Hoffnung ab und an enttäuscht. Der Himmel bricht, das Wasser fällt. Sturzbachartig auf mich drauf. Von der Plötzlichkeit und der himmlischen Maßlosigkeit überfordert, ergeben sich auch die Regenrinnen von allen Seiten und Wasserfälle stürzen auf die Gehsteige herab (vielleicht bin ich an dieser Stelle etwas zu theatralisch, aber manchmal macht es Freude, die Realität mit Worten zu übertreiben). Seltsam, aber doch, muss ich in diesem Momenten an die Worte des alten Samurais Yamamoto Tsunetomo denken, wie er sie in seinem Werk Hagakure (Hinter den Blättern) niedergeschrieben hat:

Man muss die ‚Lektion des Platzregens‘ verstehen. Ein Mann, der unterwegs von plötzlichem Regen überrascht wird, rennt die Straße hinunter, um nicht nass und durchtränkt zu werden. Wenn man es aber einmal als natürlich hinnimmt, im Regen nass zu werden, kann man mit unbewegtem Geist bis auf die Haut durchnässt werden. Diese Lektion gilt für alles.“

Diese Sätze sind buchstäblich durchtränkt von der Geisteshaltung der japanischen Kriegerklasse des siebzehnten Jahrhunderts und ihrer Ausrichtung auf die Philosophie des Zen. Der Text soll den jungen Samurai lehren, dass es im Leben Dinge und Ereignisse gibt, denen man nicht ausweichen kann, auch wenn man versucht, noch so schnell davor wegzulaufen. Man kann vor ihnen nicht fliehen und wenn sie einmal eingetreten sind, bleiben sie oft Teil des persönlichen Lebens. In diesem Sinne ist der Text höchst pädagogisch und soll eine Tatsache der menschlichen Existenz verdeutlichen.

Um welche Arten von Ereignissen handelt es sich dabei konkret? Wohl sind es unbestrittene Klassiker der menschlichen Erfahrung, die sicher nicht so einfach wegzustecken sind wie ein Platzregen. Auch hier finden wir die Kunst des Zen wieder und zwar in Form einer sanften Andeutung, welche die eigentliche Ernsthaftigkeit des Gegenstandes subtil untertreibt. Ich denke, dass in der Lektion Ereignisse mit folgender Tragweite gemeint sind: Alter, damit ist das Eigene und die Verpflichtung dem Altern anderer gegenüber (Pflege) gemeint; Krankheit, also das eigene Krank-Sein und das naher Menschen; Trauer um verlorene Menschen oder Gelegenheiten; die Verzweiflung, die aus dem getrennt sein von geliebten Menschen entspringt; die Qualen unerwiderter Liebe oder die der Unfähigkeit zu lieben; erlittenes Unrecht und dessen Konsequenzen; nicht bekommen können, was man haben will; etwas bekommen, das man nicht haben möchte; die Last des Ressentiments sich selbst und anderen Menschen gegenüber (also der innere Groll über die Schmerzhaftigkeit des Daseins); gemeinhin alles, was man als Schicksalsschläge oder selbst geschaffenes Schicksal (im negativen Sinn) bezeichnen kann.

Nun wissen wir, was unsere „Kleider durchtränkt“ und uns „nass macht“. Yamamoto fährt fort und präsentiert uns die klassische Lösung des Zen, seine Antwort auf die unvorhersehbaren Wechselfälle des Schicksals. Diese lautet: akzeptieren und annehmen; seine Lebensenergie nicht in dem Versuch verschwenden, dem Unausweichlichen auszuweichen. Wer dies verwirklichen kann, der wird im Geiste unbewegt, erfährt also inneren Frieden und verwirklicht damit eines der Hauptziele des Zen; tiefe Ruhe, innere Gelöstheit und gesunde Distanz zu den unausweichlichen Leiden des Lebens.

Das klingt irgendwie alles sehr gut. Aber ich mag den Regen nicht. Nicht, wenn ich bepackt mit Einkaufstaschen auf dem Heimweg bin. Ich mag das Gefühl der nassen, kalten und schweren Kleidung auf meinem Körper nicht und finde es schrecklich, wenn meinen Brillen so beschlagen sind, dass ich nichts mehr sehen kann. Trotzdem, was soll es bringen sich unterzustellen oder panisch davonzulaufen?

Da fällt mir eine Geschichte ein, die mir vor kurzem meine Lebensgefährtin erzählt hat. Sie war im Lainzer Tiergarten laufen. An diesem Tag regnete es immer wieder ein wenig und kurz. Ich möchte an dieser Stelle darauf hinweisen, dass die Lektion des Platzregens für meine Freundin nicht gilt, denn sie hat sogar Freude daran, im Regen zu laufen. Jedenfalls kam sie an diesem besagten Tag an einem Baum vorbei (was im Lainzer Tiergarten nicht selten vorkommt). Das Besondere war die Dame mit Plastiksackerl auf dem Kopf, die unter dem Baum stand und sich ängstlich an den Stamm schmiegte. Nach einer kurzen Schrecksekunde ob des Anblicks der ziemlich dünnen, bleichen, zittrigen und mit Plastiksack bedeckten Frau, blieb sie stehen und fragte sie, ob sie sie Hilfe bräuchte. Diese antwortete, dass sie schon eine dreiviertel Stunde unter dem Baum stehe. Sie wurde vom Regen überrascht und traute sich nun nicht mehr, weiter zu gehen, weil sie Angst hatte, nass zu werden. Meine Freundin war verdutzt, denn es hatte mindestens die letzten 20 Minuten nicht mehr geregnet. Sie sagte: „Aber es regnet ja gerade gar nicht! Sie können ruhig weitergehen.“ Die Dame antwortete, wohl ebenso verdutzt: „Aber ich höre doch den Regen!“ Meine Lebensgefährtin zeigte ihr ihre fast trockene Kleidung und sagte, dass der „Regen“, den die Dame hörte, schlicht die Tropfen waren, die noch von den Blättern fielen – jedoch keine Tropfen vom Himmel kamen. Die Dame trat sehr verunsichert aus dem Schutz des Baumes hervor, sah verschreckt zum Himmel, merkte, dass es tatsächlich nicht mehr regnete und lief sehr schnellen Schrittes davon – offensichtlich in der Angst, dass es jeden Moment wieder zu regnen beginnen könnte.

Welche Lehren sind nun aus dieser Geschichte zu ziehen? Das wir manchmal sehr gut darin sind, uns selber zu täuschen? Dass es vielleicht manchmal gar nicht wirklich regnet? Woher weiß ich woran ich bin? Manchmal regnet es wirklich und dann kann ich den Regen vielleicht auch zurecht nicht mögen, aber manchmal regnet es auch vielleicht nur in meiner subjektiven Wahrnehmung. Und wenn ich weiter gehe, realisiere ich, dass da eigentlich gar kein Regen mehr ist oder je war. Vielleicht hat der Dame das Gespräch mit meiner Lebensgefährtin geholfen. Sie konnte sich dadurch von ihrem Baum lösen, weil ihr versichert wurde, dass der Weg sicher sei.

Ich selbst will einfach nur nach Hause und die Last meiner Einkaufstaschen ablegen. Aus diesem Grund bleibe ich nicht stehen und stelle mich unter. Gleichzeitig ist es mir auch zu anstrengend, nach Hause zu sprinten. Am Ende kann ich vielleicht sagen, dass ich mir gut überlegt habe, warum es Sinn macht, durch den Regen zu gehen, auch wenn ich es gerade nicht mag. Und zu Hause kann ich mich abtrocknen und andere Kleidung überziehen. In diesem Fall zumindest.

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